von Stefan Quast
„Alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht...“. Diese kleine Weisheit ließ Goethe einst seinen Mephisto verkünden. Ein Sprüchlein, das man mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf sich wirken lassen kann, macht es einen doch auf die Endlichkeit aller Dinge aufmerksam, aber auch darauf, das letztendlich nur durch Vergehen. Neues entsteht.
In Neunkirchen, im Süden des Siegerlandes gelegen, wo heute der „Silbersee“,
Blockhütten und eine Gaststätte zu finden sind, brach vor 7 Millionen Jahren ein Vulkan mit der gewaltigen Kraft der Erde aus dem Boden hervor und erschuf den Hohenseelbachskopf.
Diese Kräfte trieben senkrechte Basaltsäulen in der Form eines gewaltigen Kegels 530 Meter über dem Meeresspiegel aus dem Boden, ca. 300 m lang, 170 m breit und das übrige Gelände um über 20 m überragend.
Nach mehreren Millionen Jahren der Ruhe, Entwicklung und Erosion errichteten die Kelten der La-Tène-Kultur auf dem Hohenseelbachskopf eine Fliehburg, irgendwann zwischen dem 5. und 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.
Die keltischen Fliehburgen waren Ringwallanlagen in Form einer senkrechten, 4–6 m hohen Mauer, welche aus Stämmen, Steinen und Erde bestanden, und sie waren oft von Gräben umzogen. Ein gewaltiges und beeindruckendes, noch erhaltenes Beispiel für eine Fliehburg stellt der sogenannte „Hunnenring“ bei Otzenhausen im Saarland dar. Sie waren begehbar und nach außen hin mit einer hölzernen Brustwehr versehen, manche groß genug, um im Falle einer Belagerung Viehherden aufzunehmen und Getreide anbauen zu können.
Durch das Verrotten des Holzes sind die erhaltenen Wälle der Fliehburgen im Laufe der Jahrhunderte alle in sich zusammengefallen.
Die Fliehburgen dienten nicht als Lebensraum und wurden nur im Falle eines Angriffs zur Verteidigung aufgesucht, während die eigentlichen Siedlungen der Zerstörung anheim fielen.
Die Fliehburg auf dem Hohenseelbachskopf aber wurde mit aufeinandergeschichteten Basaltsäulen errichtet, und in ihrer Mitte bauten die Kelten eine große Zisterne, um sich mit Wasser zu versorgen.
Doch ihre Kultur verging, und die Geschichte des Hohenseelbachkopfes entzieht sich wiederum für Jahrhunderte unserer Kenntnis.
Im späten Mittelalter dann lässt das Schicksal des vielverzweigten Seelbacher Rittergeschlechtes den gewaltigen Basaltkegel wieder aus dem Dunkel der Vergangenheit emporsteigen. Dieses Geschlecht fand auf dem Hohenseelbachskopf den Höhepunkt und den Niedergang ihrer Macht. Ihr Schicksal, und somit auch das des Seelbacher Grundes, war eingebunden in ein Dickicht von Interessen und Einflüssen mehrerer Adelsgeschlechter wie jenen von Sayn, Nassau und den verarmten Molsbergern – nicht zuletzt Reinhard von Westerburg, der 1349 das Gericht im Grund Seelbach durch Giso II. von Molsberg erhielt und der Erzbischof von Trier, welcher eine expansive Territorialpolitik betrieb und sich dem Kampf gegen das Raubrittertum verpflichtet nannte.
Zu dieser Zeit wurde der gesamte Bergzug, auf dem sich der Hohenseelbachskopf befand, noch die „Malsch“ genannt (heute„Ma(h)lscheid“), und in der Nähe des Basaltmassivs lag der „Hoywech“, damals ein wichtiger Handelsweg für die Gegend.
Die Seelbacher errichteten mit der Erlaubnis des Grafen Johann von Sayn ab dem Jahre 1350 auf dem Basaltkegel eine Burg, welche schon nach zwei Jahren – kurz vor ihrer Fertigstellung – durch die Männer des Erzbischofs von Trier, Balduin von Luxemburg, zerstört wurde.
Die Seelbacher ließen einen Brunnen in den Basalt treiben, 30 m tief und immer wasserführend; in seiner Nähe stand die Schmiede im nordöstlichen Teil des Burghofes. Das Tor wies nach Osten und im Norden wie im Süden wuchs je ein Turm aus der ihn eingrenzenden Burgmauer hervor. Die Türme waren nur über die Mauer zu betreten, es gab keinen Eingang am Boden.
An der westlichen Mauer befand sich eine von zwei Wohnhäusern umgebene Stallung mit einem kleinen Durchlass in der Burgmauer. Die Fronten der Gebäude waren dem Burgtor zugewandt.
So wurde der Hohenseelbachskopf für kurze Zeit Bollwerk, Heimstätte und Machtzentrum der Seelbacher Ritter.
Doch schon kurz darauf traf sie der Vorwurf des Erzbischhofs von Trier, zu brandschatzen und vorbeifahrende Händler besonders um Gebhardshain zu berauben, wie es an der Lahn und in der Südeifel zu dieser Zeit durchaus geschah.
Beachtenswert ist aber auch, dass sich die verbliebenen Adelsfamilien des nahen Westerwaldes durch das expansive Treiben des Erzbischofs von Trier bedroht fühlten, darunter besonders der bereits erwähnte Reinhard von Westerburg, sein Leben lang ein Gegner des Erzbischofs. Reinhard war durch geschickte Heiratspolitik in nahe Verwandtschaft zum einflussreichen Grafen Johan von Sayn getreten, und es ist möglich, dass Reinhard mit seiner Hilfe die Seelbacher mit ihrer Burg zur Machtsicherung und zum Schutz gegen Balduin von Luxemburg an sich zu binden versuchte.
Dies könnte der wahre Grund für die Zerstörung der Burg Hohenseelbach durch Balduin gewesen sein, denn es ist auch überliefert, dass die Seelbacher im Jahre 1351 einer Gräfin von Nassau 500 Mark geliehen haben sollen, eine damals große Summe, und man kann sich mit Recht fragen, ob sich eine Frau adeligen Blutes wirklich bei Raubrittern verschuldet hätte.
Was auch immer der Grund war: Die Burg wurde im August 1352 geschliffen, und die Seelbacher mussten sich verpflichten, den Hohenseelbachskopf nie wieder zu bebauen.
Wieder kehrte für lange Zeit – aber nun zum letzten Mal – Ruhe auf dem Hohenseelbachskopf ein.
Ab 1466 ist zum ersten Mal der Abbau des Basalts überliefert, und seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ständig in kleinen Mengen abgebaut. Das Plateau wurde lange Zeit traditionsgemäß mit Roggen besät und alle 18 Jahre von Holz befreit. Noch im Jahre 1880 wurde eine Ruine mit einem nie versiegenden Brunnen von zwölf Fuß Durchmesser und einer Wand aus ganzen, senkrecht stehenden Basaltsäulen erwähnt.
Um diese Zeit wurden auch Stimmen laut, welche den Hohenseelbachkopf mit den Resten einer Burg und einer noch älteren Ringwallanlage vor dem immer mehr zunehmenden Basaltabbau schützen wollten. Doch begann trotz allen Widerstandes 1893 mit dem Bau einer 1,5 km langen Bremsbahn der eigentliche rücksichtslose Abbau des gewaltigen Naturdenkmals. Schon ab 1917 war der Basaltbruch nicht mehr rentabel, aber noch bis zum Oktober des Jahres 1926 wurde auf dem auch „Köppel“ genannten uralten Vulkan Basalt gebrochen.
Eine letzte, verbliebene Basaltsäule konnte man noch die folgenden Jahrzehnte den Köppel krönen sehen, bis auch sie im April 1954 in den Abbaukrater rutschte.
Mit diesem Absturz der letzten Säule endete die über sieben Millionen Jahre währende Geschichte um Werden und Vergehen auf dem Hohenseelbachskopf. Doch mit dem Entstehen des Silbersees in dem tiefen Abbaukrater und der Ernennung zum Naturschutzgebiet im Jahre 1956 wurde wieder ein neues Kapitel in der Geschichte des alten Vulkans aufgeschlagen, bis auch das alles im Laufe der Zeiten sein Ende finden wird, um auf seinem Grunde neues entstehen zu lassen.
Stefan Quast, aufgewachsen im Schatten des Hohenseelbachkopfes
im Juni 2008
Literatur:
- Neunkirchen 700 Jahre 1288-1988, Herausgeber: 700-Jahrfeier Neunkirchen GbR, Neunkirchen 1988
- Uralte Wallburgen im Siegerland, Heinz W. Bensberg,
http://www.h-bensberg.de/Microsoft_Word_-_Uralte_Wallburgen_im_Siegerland.pdf, [01.05.2008]
- Originelle Geschichten, Sagen, Schwänke, Neckereien und humorvolle Gedichte aus dem Siegerland mit einem Blick über den Grenzzaun, Adolf Müller, 3. Auflage 1997, Siegen
- http://de.wikipedia.org/wiki/Balduin_von_Luxemburg, [01.05.2008]
- http://de.wikipedia.org/wiki/Hohenseelbachskopf, [01.05.2008]
- http://de.wikipedia.org/wiki/Malscheid, [01.05.2008]