von Fabian Trampf

1974 begann die Geschichte des Frauenfußballs beim TSV Siegen. Unter der Führung von Manfred Nell wechselten etwa 30 Spielerinnen vom Siegener SC. zum TSV Siegen (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.76) , was den Beginn einer Zeit einläutete, die durch Erfolge und Anerkennung geprägt war.
Gründe für die Entscheidung der Spielerinnen, den Wechsel zu vollziehen, waren die erhofften besseren finanziellen Bedingungen und die notwendigen Umkleide- und Duschmöglichkeiten.

Viele Siege folgten, allein im Zeitraum von 1974 bis 1980 erlangte der TSV drei Mal den Westfalen-Meister, er wurde drei Mal Vize-Westfalen-Meister und gewann drei Mal den Westfalen-Pokal.
Im Jahr 1975/76 bestand die Mannschaft aus den Spielerinnen Rosemarie Neuser, Frau von Gerd Neuser, Thea Pick, Sabine Banetzke, Susanne Schäfer, Karin Fischer, Melitta Thomas, Ute Peter, Ruthild Schmidt, Eva Nünnerich, Rita Sondermann, Petra Hirschhäuser, Bärbel Hadern, Mechthild Freisfeld, Uschi Bleich und Gudrun Winkler (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.77).
Die Erfolge blieben auch in der Region nicht unbemerkt, sodass sich der Frauenfußball im Siegerland in diesem Zeitraum explosionsartig entwickelte.
Dies lässt sich anhand der Zuschauerzahlen feststellen.
Der TSV verzeichnete eine Zuschauerzahl von bis zu 8.000 Menschen an zwei Spieltagen und Einnahmen, die nicht zuletzt durch verkaufte Fernsehrechte bis zu 40 000 DM betrugen (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.77).
Das Siegerland, ein Landschaftsteil der Region Südwestfalen, war geprägt von der Gewinnung von Eisenerz und dessen Weiterverarbeitung, jetzt war es auch für den erfolgreichen Frauenfußball bekannt.
Durch den Wechsel des Trainers Dieter Lehmann und des Abteilungsleiters Hermann Stuth änderte sich die Situation im Siegerland und die zunächst für Sportlerinnen uninteressante Region wurde durch die neue finanzielle Unterstützung für bekannte Spielerinnen interessant (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.77).
Dem neuen Trainer und Abteilungsleiter Gerhard Neuser gelang es, Spielerinnen wie Silvia Neid, Petra Bartelmann, Andrea Haberlass, Sissy Raith und nicht zuletzt Rosi Neuser zum TSV Siegen zu holen (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.82).

Der TSV holte bis 1986 fünf Mal die Westfalen-Meisterschaft und sechs Mal den Westfalen-Pokal.
In dem Zeitraum von 1985 bis 1995 gewann der TSV Siegen fünf Mal den DFB-Pokal und stand viermal im Finale. Die Zuschauerzahlen überschlugen sich und das Leimbachstadion in Siegen wurde zum Austragungsort vieler Spiele.
Aufgrund der hohen Zuschauerzahlen, musste der TSV Siegen seinen Spielort vom Hofbachstadion in das Leimbachstadion verlegen, da dieses eine größere Kapazität bietet.
Selbst die Damen-Nationalmannschaft bestand zu dieser Zeit aus zahlreichen Spielerinnen des TSV, was die Qualität dieser Mannschaft im Besonderen unterstreicht.
Im Jahre 1995, mit der Beendigung der Saison, endete die erfolgreiche Serie der Damenfußballmannschaft des TSV Siegen. Ausschlaggebend dafür war wohl der Bruch zwischen Gerd Neuser und dem Vereinsboss Wern (SpiegelOnline, Als Siegen alles verlor,
http://einestages.spiegel.de/
static/topicalbumbackground/22865/als_siegen_alles_verlor.html, 11.07.2013). Als Gerd Neuser bei einer Steuerprüfung nicht alle Finanzposten lückenlos dokumentieren konnte, wird er von Wern gefeuert. Gerd Neuser verlässt den Verein und zieht sich vom Fußball zurück.
Mit ihm geht die Geschichte des erfolgreichen Frauenfußballs in Siegen zu Ende. Durch die Möglichkeiten und Kontakte, die er für den Verein schuf, trug Neuser einen Großteil dazu bei, dass der TSV zu solch beträchtlichem Ruhm gelangt war (TSV-Chronik Band.2, 1972 bis 2009, S.97).
Durch fehlende finanzielle Mittel musste der TSV Siegen die Spielerinnen nach Ablauf ihrer Verträge gehen lassen und es kam zu einem Wechsel der Frauenfußballmannschaft zum Ortsnachbarn Sportfreunde Siegen, welcher an die früheren Erfolge nicht anknüpfen konnte.

Gudrun Winkler spielte seit 1975 beim TSV Siegen und betreut noch heute die existierende Damenfußballmannschaft vom Nachbarverein Sportfreunde Siegen. Sie ist seit Beginn ununterbrochen dabei und hat den Wechsel der kompletten Abteilung 1995/96 miterlebt.

1.) Wie bewerten Sie in Bezug auf ihre eigenen Erfahrungen die Entwicklung des Frauenfußballs Anfang der 70er Jahre?

In den 70er Jahren spielten nur diejenigen Frauen Fußball, die es bereits von der Kindheit an wollten und auch konnten. Heute werden die Talente auch in Schulen, Vereinen, Fördergruppen und Aktionen speziell angesprochen um Talente herauszu- filtern. Das Training wird nicht mehr von x-beliebigen freiwilligen "Papas", sondern von ausgebildeten Trainern geleitet, ist somit leistungsorientiert und keine "Männerbelustigung" mehr.
Auch DFB und Fußballverbände haben den Frauenfußball gefördert, so dass es Nationalteams in allen Altersklassen gibt. Die Verbände führen Sichtungslehrgänge durch und treten zu Vergleichsspielen an. Als Spielerin ist man heute athletischer, schneller, intensiver beim Körperkontakt und taktisch besser ausgebildet. Der Frauenfußball ist durch die Medien in der ganzen Welt bekannt, die Namen der Spielerinnen sind beim Publikum fast so geläufig wie bei den Männermannschaften.

2.) Wie wurden die zahlreichen Erfolge des TSV Siegen von den Menschen im Siegerland aufgenommen und wie spiegelten diese sich wieder?

Die Erfolge beim TSV waren durch die Medien in aller Munde, das ganze Siegerland war stolz auf die Frauenfußballerinnen. Durch den Erfolg wurde die Region in ganz Deutschland bekannt, so dass sich auch die heimischen Politiker für uns interessierten. Trotz des damals größten Siegerländer Vereins (Sportfreunde Siegen) sprach man nur noch vom TSV aus dem kleinen Vorort Trupbach. Wir als aktive Spielerinnen wurden oft erkannt und bewundert. Man fühlte sich wie ein "Superstar" in Siegen. Leider sind diese Erfolge nur noch den älteren Mitmenschen im Siegerland bekannt. Für die heutigen Spielerinnen in der Region ist es wichtiger, in einer höheren Klasse zu spielen, statt sich auf alte Zeiten zu berufen.
Sportfreunde Siegen und SV Fortuna Freudenberg sind die Frauen-Hochburgen im Siegerland, der Name SF Siegen hat auch durch den Männerfußball (eine Saison 2. Bundesliga) einen traditionellen Namen.



3.) Wie bewerten Sie persönlich die Ereignisse im Siegener Frauenfußball um 1996

Für mich war die Nachricht niederschmetternd. Man gab mir persönlich das Versprechen, die Lizenz für die FBL nochmal zu beantragen. Der damalige Vorstand der SF Siegen hat sich dann aus finanziellen Gründen gegen die FBL entschieden. Das letzte Heimspiel der FBL war ein "Ausverkauf" der Spielerinnen. Die Vereine der FBL haben unsere Spielerinnen nach dem Spiel vom Rasen weg gekauft, wobei mir persönlich das Herz blutete. Keine der Spielerinnen ist in Siegen geblieben, ich musste mit der damaligen Frauen-2 und der Mädchenmannschaft neu beginnen. Natürlich musste der Verein reagieren, um nicht aus finanziellen Gründen "unterzu- gehen". Es war und IST sehr schwierig, finanzielle Unterstützung aus der Siegener Wirtschaft zu erhalten. Es ist nach wie vor nicht möglich, dass sich Frauenfußball von selbst finanziert und es wird m.E. auch in den nächsten Jahren nicht anders sein.

4.) Sehen Sie eine Möglichkeit die früheren Erfolge des Siegener Frauenfußball in der heutigen Zeit neu zu beleben?

Nein, wie bereits angesprochen, liegt es definitiv an den finanziellen Mitteln. Bereits viele Vereine der Männer-Ligen bekommen keine Lizenzen. Auch Bundesligisten mit Frauenmannschaften, z.B. der HSV, ziehen die Frauen aus der FBL zurück. Duisburg und Bad Neuenahr sind kurz vor oder schon in der Insolvenz. Nur finanzstarke Vereine wie z.B. Bayern München und Wolfsburg können sich noch Top-Mannschaften im Frauenfußball leisten, oder werden, wie am Beispiel Potsdam, von der Politik unterstützt. Um Top-Spielerinnen für Siegen zu gewinnen, bedarf es längerfristig einer guten finanziellen Grundlage.

Durch spielerische Leistung, die finanzielle Unterstützung und der begeisternden Atmosphäre, gelang es der Damenmannschaft vom TSV Siegen in dem Zeitraum von 1976 bis 1996 sich in der Frauenfußballgeschichte zu verewigen.
Eine Erfolgsgeschichte, die Gudrun Winkler oder auch Silvia Neid ins Schwärmen geraten lässt.

Der Blumenhändler mit den nötigen finanziellen Mitteln, schaffte es, eine Damenmannschaft zusammenzustellen, die regionalübergreifend einen erfolgreichen Fußball spielte.
Der bekannte Spruch "Siegen heißt gewinnen" verbreitete sich rasend schnell und sorgte für großen Respekt bei den Gegnerinnen.
Nur achtzehn Jahre später ist der Slogan "Siegen heißt gewinnen" in den Köpfen der Menschen verblasst und nur noch den älteren Mitmenschen aus dem Siegerland ist dieser Spruch bekannt.
Gerade der jüngeren Bevölkerung ist der Begriff TSV Siegen unbekannt. Befragungen bei einer Kölner Frauenfußballmannschaft ergaben, dass Mannschaften wie 1.FFC Turbine Potsdam, 1.F FC Frankfurt oder VFL Wolfsburg die Rolle der Vorbilder übernommen haben. Ein TSV Siegen ist ihnen nicht bekannt und auch die zahlreichen Erfolge und die damit entstandene Stellung im Damenfußball kennen die Spielerinnen nicht.
In der Universität Siegen haben Stichproben ergeben, dass der TSV Siegen bei den Studenten keine Erinnerung wachruft, selbst bei Erwähnung der erreichten Erfolge. Doch ließ sich ein anschließendes Staunen und ein Gefühl von Stolz bei den meisten der befragten Person feststellen.
So soll diese Arbeit dazu beitragen, nicht nur die Befragten Personen ins Staunen zu versetzen, sondern auch die Leser und den Frauenfußball aus dem Siegerland zurück in Erinnerung rufen.