von Özden Demir

"Aus!!!"

Dieser kurze Eintrag, den Fritz Busch in seinem Arbeitskalender machte, lässt erahnen, in welch verzweifelter Lage der Musiker gesteckt haben muss, nachdem er am 7. März 1933 (vor der „Rigoletto“-Aufführung) von grölenden und pfeifenden SA-Horden vom Dirigentenpult der Semperoper in Dresden verjagt wurde.

Dienstkalender
 Fritz Buschs Dienstkalendera

Der Grund für die starke Ablehnung, die ihm entgegenschlug, lag darin begründet, dass Fritz Busch offen mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus umging. So ließ er es nicht zu, dass Hakenkreuze an der Semperoper angebracht wurden, untersagte den „deutschen Gruß“ und beschäftigte Juden auch dann noch, als dies schon längst als Verrat am Vaterland galt. Bezüglich seines Privatlebens ließ er sich ebenfalls nicht vorschreiben, mit wem er befreundet sein durfte und mit wem nicht. Hitler, Goebbels und Göring wollten den berühmten Dirigenten in Berlin haben, doch er weigerte sich.

Dies führte dazu, dass er sich in nationalsozialistischen Kreisen unbeliebt machte und gipfelte in dem oben beschriebenen Vorfall vom März 1933. Fritz Busch emigrierte daraufhin zunächst einmal nach Argentinien und bekam ein paar Jahre später die argentinische Staatsbürgerschaft. Nach Aufenthalten in anderen Ländern, landete er schließlich in Amerika. Im Jahr 1951 kehrte er nach Deutschland zurück.

Was nun hat das Ganze mit Siegen zu tun? Ganz einfach: Fritz Busch, so wie seine Geschwister Adolf (Geiger und Komponist), Hermann (Cellist), Willi (Schauspieler), Heinrich (Pianist und Komponist), Elisabeth (Schauspielerin) und Magdalene (Balletttänzerin), sind gebürtige Siegener! Fritz Busch und sein Bruder Adolf erlangten Weltruhm, aber auch ihre Brüder wurden durchaus über die Grenzen Deutschlands bekannt. Ihr Vater war Geigenbauer, ihre Mutter führte ein Geschäft mit Strickereiwaren. Daher erinnerten sich viele Siegener an die Gebrüder Busch, als in den 1960er Jahren verschiedene Medien (unter anderem der WDR) über das musikalische Wirken dieser Familie berichteten.

Und hier nun beginnt auch die Geschichte der Brüder-Busch-Gesellschaft, die im Jahr 1964, mit zunächst nur 25 Mitgliedern, gegründet wurde. Ihr Initiator, Gründer und Geschäftsführer war Wolfgang Burbach, der durch die Autobiographie von Fritz Busch („Aus dem Leben eines Musikers“), die ihm seine Frau zum Geburtstag geschenkt hatte, auf die Familie Busch aufmerksam geworden war. Die entschiedene Ablehnung des Nationalsozialismus seitens der Busch-Brüder faszinierte ihn so sehr, dass er sich darüber wunderte, dass die Stadt Siegen sich nicht mit den Söhnen der Stadt rühmte und diese in diesem Zusammenhang nicht bekannter machte. Siegen und die Brüder Busch gehörten doch zusammen! So hat Herr Burbach zunächst den Gebrüder-Busch-Kreis und später die Brüder-Busch-Gesellschaft ins Leben gerufen. Die Mitglieder waren eine Gemeinschaft von Menschen, die gemeinsame ethische Werte hatten. Hierzu gehörte die Ablehnung von jeglicher Form von Faschismus. Zudem teilten sie alle eine Leidenschaft für Kunst bzw. Musik.

Im Rahmen eines historischen Projektes an der Universität Siegen habe ich mich mit einem langjährigen Mitglied dieser Gesellschaft, Frau Margarete Heinbach, getroffen. Die Siegenerin ist vor mehreren Jahrzehnten ebenfalls durch die Autobiographie von Fritz Busch auf die Künstlerfamilie aufmerksam geworden. Zudem hörte sie, wie viele andere Siegener auch, Anfang der 60er Jahre eine Radiosendung, in der über die Buschs berichtet wurde. Als Musikliebhaberin weckte das ihr Interesse so sehr, dass sie sich näher mit den Buschs beschäftigte. Sie wurde schließlich ein sehr engagiertes Mitglied der Brüder-Busch-Gesellschaft. Ab 1990 war sie im Beirat, ab 1992 im Vorstand.

Voller Begeisterung erzählte sie mir von den vielen aufregenden Augenblicken, die sie während ihrer Zeit in der Gesellschaft erleben durfte. Eines der Höhepunkte war (sicher für alle Mitglieder), dass schnell Kontakte zu der Verwandtschaft der inzwischen verstorbenen Busch-Brüder hergestellt werden konnten. Diese Verwandten statteten dann regelmäßig Besuche im Siegerland ab. So schrieb Grete Busch, die Frau von Fritz Busch, einmal:

„Die Heimat meines Mannes Fritz Busch, der Schauplatz seiner harten, aber schönen Jugendzeit, ist mir lange Zeit nur aus seinen gelegentlichen Erzählungen bekannt geworden […]. Aber mich leitete noch spät ein glückliches Geschick […] aus der Weltweite in den wunderschönen Erdenwinkel des Siegerlandes, wo ich als verehelichte Siegerländerin Heimatrecht habe, und machte mich zum Zeugen eines künstlerischen Aufblühens, das sich kein Busch – höchstens der fantastische geigenbauende Schwiegervater Wilhelm hätte träumen lassen […]. Der schöne Deutsche Hof gab die Wohnstätte, in der man alles […] genießen kann.“

(Grete Busch am 16.09.1966 in Hilchenbach: Widmung an die Familie Kindermann vom Hotel „Deutscher Hof“)

Als die Gesellschaft gegründet wurde, dachte Grete Busch, wie viele andere auch, dass das Ganze nicht von langer Dauer sein würde, denn alles schien einerseits zwar gut gemeint, andererseits aber auch zu idealistisch. Doch man hatte sich geirrt. Die Brüder-Busch-Gesellschaft existierte ganze 39 Jahre lang! Nach ihrer Gründung berichteten viele ausländische Fachzeitschriften über sie. Daraufhin meldeten sich Menschen aus aller Welt, weil sie in irgendeiner Weise eine Verbindung zu den Buschs hatten. Die Anekdoten wurden zusammen mit Erinnerungsstücken unterschiedlichster Art fleißig gesammelt, denn die elementarste Aufgabe sah man darin, den künstlerischen Nachlass der Buschs zu sammeln und zu bewahren. So wurde schließlich die Errichtung eines Brüder-Busch-Archivs zu einer der bemerkenswertesten Taten der Brüder-Busch-Gesellschaft. Die Bestände im Archiv weiteten sich ständig aus. Inzwischen kann man zehntausende von Briefen, Programmen, Kritiken, Fotografien, Noten, Büchern, Tonaufnahmen etc. vorweisen. Das Archiv wurde nach Auflösung der Brüder-Busch-Gesellschaft dem Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung übergeben.

Treffen klein     
 Treffen der Brüder-Busch-Gesellschaftb
 

Eine weitere Errungenschaft der Brüder-Busch-Gesellschaft ist das Erschaffen eines Förderpreises („Brüder-Busch-Preis“), der zum Ziel hatte, junge Musiker finanziell zu unterstützen und sie bekannter zu machen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Preisträger dazu, innerhalb der ersten zwei Jahre, nach Erhalt des Preises, im Rahmen einer Veranstaltung des Gebrüder-Busch-Kreises (einem Kulturkreis, der seit 1961 in Dahlbruch bei Hilchenbach existiert) ohne Gage aufzutreten. Die Spesen wurden erstattet. Die Übergabe des Preises erfolgte entweder während einer Mitgliederversammlung oder vor einem Konzert im Gebrüder-Busch-Theater. Der erste Preisträger war im Jahr 1972 Gottfried Schneider (Violine), der letzte im Jahr 2003 Olivier Patey (Klarinette). Erste Preisträgerin aus der Deutschen Demokratischen Republik war im Jahr 1989 Susanne Grützmann (Klavier).

Am 18. Oktober 2003 fand die letzte Ordentliche Mitgliederversammlung der Brüder-Busch-Gesellschaft statt, denn das Ziel, das man bei der Gründung vor Augen hatte, war erreicht: Der Gesellschaft war es gelungen, die Brüder Busch nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ihren weltweit verstreuten Nachlass zusammenzuführen. Nebenbei hatte man dafür gesorgt, dass jüngere Angehörige der Familie Busch sich bei den zahlreichen Gedenkveranstaltungen überhaupt erst kennengelernt oder nach langer Zeit wiedergesehen hatten. Die Arbeit war vollbracht.

Frau Heinbach hingegen geht ihrer Leidenschaft unermüdlich nach. Sie hält Vorträge über die Buschs und leistet damit noch heute einen wichtigen Beitrag dazu, an das künstlerische Erbe dieser Familie zu erinnern. Zudem hat sie bei Veröffentlichungen über die Siegener Musikerfamilie immer ein Auge darauf, ob fehlerhafte Angaben darin enthalten sind oder nicht. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich dafür bedanken, dass sie sich stundenlang Zeit für mich genommen und ein wenig aus dem „Nähkästchen“ der Brüder-Busch-Gesellschaft geplaudert hat.

Margarete Heinbach klein     
 Margarete Heinbachb  

Zum Schluss sollte noch erwähnt werden, dass das, was Fritz Busch im März 1933 in der Semperoper widerfahren ist, viele Jahrzehnte später doch noch eine kleine Wiedergutmachung zur Folge hatte. Am 22. September 1998, als die Sächsische Staatskapelle Dresden ihren 450. Geburtstag feierte, ging ihr Chefdirigent Giuseppe Sinopoli ans Rednerpult und entschuldigte sich im Namen seiner Kapelle für den damaligen Umgang mit dem Siegener Dirigenten. Anschließend wurde ein Film über Fritz Busch gezeigt, den das Brüder-Busch-Archiv zur Verfügung gestellt hatte. Auch hier wird wieder deutlich, dass die Brüder-Busch-Gesellschaft einen bedeutenden Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte geleistet hat. Fritz Busch sagte einmal:

„Es ist das Wesen des Schönen, dass böse Mächte keine Gewalt darüber haben“

Hier schließt sich der Kreis, denn die Brüder-Busch-Gesellschaft hat, indem sie die Buschs nicht vergessen lassen hat, gezeigt, dass „das Schöne“ auch dann noch Bestand hat, wenn die einst bösen Mächte schon längst Geschichte sind.

(2019)


Literaturquellen:

  • Burbach, Wolfgang (2011): Im Dienst der Brüder-Busch-Gesellschaft: Erinnerswertes aus ihrer Geschichte, Hannover
  • max-reger-institut.de

Bildquellen:

  • a    BrüderBuschArchiv
  • b    Private Fotosammlung von Frau Heinbach